11. August 2023

Künstliche Intelligenz – menschliche Intelligenz

Mit ChatGPT wird die alte Diskussion um KI gerade neu entfacht und damit auch die Frage, wo und wie uns Softwareprogramme ersetzen. Wenn wir von ersetzen sprechen, lohnt sich also der Blick auf den Unterschied zwischen menschlicher und künstlicher Intelligenz.
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Geschrieben von: Prof. Dr. Harald Henzler
Lesedauer: ca. 8 Minuten

Intelligenz wird gemein hin positiv bewertet. Denn dadurch unterscheiden wir Menschen uns gerne von anderen Lebewesen der Erde. Intelligenz erhöht unsere Überlebenschancen. Intelligenz ist ein schillernder Begriff. Intelligent ist, wer ein Problem lösen kann, möglichst schnell und elegant. Und das versuchen wir mit einem IQ zu messen.

Als intelligent bezeichnen wir aber auch menschliches Verhalten, das die Zukunft besser gestaltet und den Menschen nicht schadet. Hier schwingen ethische Verantwortung und ein Wissen um menschliche Werte mit, in einer Gemeinschaft. So werfen wir uns in der Diskussion um die Klimakrise wechselseitig fehlende Intelligenz und Blindheit vor, je nach Perspektive. Dumm ist gemeinhin, wenn man die Konsequenzen nicht erfasst, blind für die Situation ist – wenn man immer nur ein einmal gelerntes Verhalten wiederholt. Umgangssprachlich ist Intelligenz weit mehr als die Lösung eines isolierten Problems.

Weil wir der Intelligenz so viel Bedeutung geben, gelingt es uns nicht, „menschliche Intelligenz“ für alle Menschen gleich zu definieren und schon gar nicht, sie richtig messbar zu machen. Die Reduktion von Intelligenz auf einen IQ greift nicht. Wir können von einem Kanon an abfragbarem Fachwissen sprechen und den Methoden, wie man sprachliche, mathematische oder andere, klar umrissene Probleme löst. Das allein umfasst aber noch nicht Intelligenz.

Ein Blick auf die Pädagogik lohnt sich, denn es liegt im Begriff der Intelligenz, dass wir das, was wir „intelligent“ nennen, auch an unsere Nachkommen weitergeben wollen. Deshalb sprechen wir nicht nur von Fachwissen, sondern vor allem von Kompetenzen.

Das Wissen um den Dreisatz, Grammatik, Malerei und Musik lehren wir an unseren Schulen. Zugleich sprechen wir jedoch immer mehr von Kompetenzen, die es dabei zu erwerben gilt, von sozialen und digitalen, die weit über das einzelne Fachwissen hinausgehen. Durch die Digitalisierung ist noch deutlicher geworden, dass eine reine Vermittlung von Fachwissen nicht ausreicht und neben den sozialen Kompetenzen rückt die Medienkompetenz zur Zeit in den Mittelpunkt. 

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Was ist Intelligenz?

An dieser Stelle lohnt sich ein Blick auf Howard Gardner und sein Konzept der multiplen Intelligenz. Gardner ist der bekannteste Vertreter einer Forschungsrichtung, die von vielfältigen Formen der Intelligenz ausgeht. Der Grad der Ausprägung ist bei jedem Menschen anders: Ein hochbegabter Mathematiker muss nicht gut sein in Sport, ein Musiker nicht mehrere Sprachen können. Die Ausprägung der Intelligenz hängt vom Erbgut und dem sozialen Umfeld ab, d.h. wir sind weder determiniert aufgrund unserer Genetik, noch können wir bei allem Fleiß alles lernen. Jeder Mensch hat seine speziellen Begabungen und Fähigkeiten und irgendwo ist immer jemand besser.

Der Zugang zum Wissen erfolgt unterschiedlich. Dabei ist die Basis die Informationen unserer Sensoren. Ein Blinder nimmt die Welt zwangsläufig anders wahr als ein Tauber, ein Mensch anders als ein Adler. Die Intelligenz wird dabei jedoch als System getrennt betrachtet von den Sinneseindrücken, denn sonst würden wir eine Wanze für intelligenter halten als einen Menschen, weil sie bestimmte Aldehyde besser riecht. Als intelligent bezeichnen wir die Verarbeitung der Informationen, nicht die Gewinnung. Eine Kamera ist nicht intelligent, weil sie mehr Lichtsignale aufnehmen kann als ein menschliches Auge.

Wir beobachten unterschiedliche „Lerntypen“ und Formen der Aneignung, was wiederum nicht die Intelligenz selber betrifft. Deshalb gelten „attention intelligence“ oder „absorption intelligence“ z.B. als Fähigkeiten der Aneignung, denn sie generieren kein Wissen über etwas.

Und auch die verschiedenen Ausprägungen von Intelligenz , von Gardner als „style“ bezeichnet, verdeutlicht, dass sprachliche Intelligenz bei Dichterinnen genauso vorkommt wie bei Rednern oder Rechtsanwältinnen.
Auch die verschiedenen Formen des Erinnerns, der Einsatz von autobiographischem, episodischem oder semantischem Gedächtnis spielt eine Rolle.

Eine weitere Unterscheidung ergibt sich aus den „skills“, den Fertigkeiten oder den Kompetenzen, wie z.B. Schwimmen, bei dem mehrere Formen der Intelligenz zusammenkommen müssen. Bei der Entwicklung derselben spielt es eine Rolle, in welchem sozialen Umfeld man sich bewegt, welche Aufgaben man dort ausfüllt und wie diese bewertet werden.

Jede Kultur hat ihre Schwerpunkte gebildet, hat sich in der Architektur, Musik oder Malerei besonders entwickelt, dem Jagen oder dem Sport mehr Bedeutung beigemessen oder der Wirtschaft und Wissenschaft. Diese Wertschätzung bestimmter Fähigkeiten und Fertigkeiten hat in der Folge auch einen Anreiz gegeben, diese Talente zu fördern.

Sprich: Ohne die Bedeutung des Fußballs in Argentinien und weltweit wäre Maradona nie der Fußballer geworden, der er wurde. Die chinesische Mauer, die Pyramiden in Ägypten oder die Skulpturen auf den Osterinseln sind Ergebnisse einer Gemeinschaft. Und auch Mozart oder Humboldt wären ohne die frühe, gezielte Erziehung und die Bewunderung ihrer Fähigkeiten schon in frühen Jahren nie zu derartigen Leistungen fähig geworden.

Menschliche Intelligenz ist vielfältig

Sie umfasst das Lernen und die Erfahrung des Zusammenlebens in der Gemeinschaft, die Verarbeitung unterschiedlichster Informationsquellen und das Verständnis des eigenen Lebens vom Tod her, den effizienten Gebrauch von Medien und die richtigen Bewertung der eigenen Fähigkeiten und Situation. Trotzdem übertragen wir den Begriff auf Algorithmen und sprechen von „künstlicher Intelligenz“, obwohl wir die menschliche noch nicht mal erfassen. In der Folge beobachten wir, dass wir rund um die Diskussionen um „künstliche Intelligenz“ schaurige Dystopien wie auch gelobte Paradiese skizzieren. Und sie spiegeln zumeist eher unsere Ängste und Wünsche.

KI und Pädagogik – was wollen wir künftig lehren?

Die prinzipiellen Mechanismen digitaler Medien sind nicht neu. Bettermarks hilft Schüler:innen seit Jahren bei den Matheaufgaben, Microsoft erstellt schon lange Gliederungen für Referate und Springer hat 2019 das erste KI-erstellte Buch herausgebracht.

Aber ChatGPT hat nicht nur mehr Daten als andere noch besser aufbereitet, es hat vor allem ein gutes Interface zu den Kunden. Usability ist Trumpf bei Software: ChatGPT „kommuniziert“ sehr einfach und führt Befehle so aus, dass die Ergebnisse sofort verständlich sind, in Form eines Textes, einer Präsentation, einer Melodie oder Programmiercodes.

ChatGPT liefert genau die Leistungen, die an Schulen und Hochschulen gefordert werden. Deshalb wird es noch wichtiger als je zuvor, Kompetenzen zu fördern, die uns den richtigen Umgang mit digitalen Medien lehren.

ChatGPT hat dazu geführt, dass wir die Diskussion um den Einsatz digitaler Technologien noch heftiger führen als zuvor. Die Herausforderung liegt darin, dass wir die Chancen und Risiken erfassen und lernen, verantwortungsvoll damit umzugehen. Die Gefahr ist, dass die Schere zwischen den Gebildeten und weniger Gebildeten weiter auseinandergeht durch den Einsatz von KI. Nur wer Sprache und Mathematik „kann“, wird auch die KI richtig einsetzen.

Wird künstliche Intelligenz meinen Job machen? 

Nein, wenn ich meinen Job so ausfülle, dass ich die Steuerung der Werkzeuge übernehme, ihre Bewertung und sinnvollen Einsatz. Das setzt natürlich Medienkompetenz voraus und die Fähigkeit, seinen Job immer auch von einer Metaperspektive aus betrachten zu können.

Prof. Dr. Harald Henzler

Harald Henzler verantwortet als Professor für Digitale Kommunikation und Change an der Internationalen Hochschule SDI den Studiengang Digital Media Manager.

Als Geschäftsführer der smart digits GmbH begleitet er Unternehmen bei der Entwicklung der Digitalstrategie. Als Produktmanager, Verlagsleiter und Geschäftsführer (Carl Hanser Verlag, Haufe Lexware) hat er langjährige Erfahrungen in der Entwicklung und Umsetzung digitaler Geschäftsmodelle.

Er hat mit Partnern eigene Start-ups gegründet und coacht im Rahmen von CONTENTshift Start-ups und begleitet den Dialog mit den Verlagen.

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